Dienstag, 16. Dezember 2014

Ernst Albrecht, der Freund der Bootsflüchtlinge, ist gestorben Nachruf von Rupert Neudeck


Ernst Albrecht, der Freund der Bootsflüchtlinge, ist gestorben
Nachruf von Rupert Neudeck
14.12.14


Ernst Albrecht, der am 12.Dezember im Alter von 84 Jahren gestorben ist, war der einzige Politiker in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands, der sich einer verfolgten Bevölkerung, den vietnamesischen Bootsflüchtlingen annahm. Wir haben ihn bei der gemeinsamen Rettungsarbeit schätzen gelernt. Weil er anders als sonstige zuständige Ministerpräsidenten und Ministeriale sich direkt leiten ließ von der Möglichkeit, als Chef eines deutschen Bundeslandes mehr zu tun, als die mühseligen politischen und publizistischen Debatten dann später zuließen.

Eine Gruppe von Deutschen wird die Nachricht mit besonders großer Bestürzung und Trauer empfinden: die Deutschen vietnamesischer Abstammung. Er nahm schon einige Monate vor der Begründung der Idee eines deutschen Rettungsschiffes tausend Vietnamesen auf. Sie waren damals zusammengepfercht auf einem chinesischen Schiff, der Hai Hong, einem klassischen Schleuserschiff. Dieses Schiff lief jeden Hafen am Süd-Chinesischen Meer an, um diese Last von verzweifelten Flüchtlingen loszuwerden: Vergeblich. Da wurde Ernst Albrecht darüber informiert, dass er mit einer Entscheidung ohne den Bund zu fragen, tausend Menschen aufnehmen könne. 2008 sahen wir bei der Feier der dreißig jährigen Wiederkehr des Tages den schon gesundheitlich angeschlagenen Ernst Albrecht noch einmal in großer Freude.

Er hat in den Jahren bis 1985 den Verantwortlichen von Cap Anamur immer bewiesen, dass Politik nicht nur genehmigen und zulassen, sondern sich auch aktiv an Rettung von Menschen beteiligen kann. Er nahm meist mehr auf, als Niedersachsen aufnehmen und akzeptieren musste. An einem Sonntag lud er uns 1981 nach Hannover Beinhorn in sein Haus ein, um sich ein Bild von den Rettungsaktionen an Bord der Cap Anamur zu machen. Anwesend war der langjährige Schiffsarzt Dr. Franz König, der große Freund und Mitkämpfer bei diesen Aktionen im Fernsehen, Franz Alt und ich selbst. Ich habe in 35 Jahren niemals einen Großpolitiker erlebt, der sich so für die Menschen und die Bedingungen ihrer Gefährdung durch Piraterie, Vergewaltigung und die sonstigen Gefahren des Meeres interessierte und sich kümmerte wie eben jener Dr. Ernst Abrecht.
Ich habe ihn vor anderthalb Jahren noch einmal gesehen in dem Haus in Hannover Beinhorn, das jetzt von seiner Tochter geführt wurde, Ursula von der Leyen. Er freute sich über den Besuch, bei dem Wort Vietnamesen schien er etwas zu ahnen. Einige Vietnamesen haben ihren Retter noch besucht.
Das Andenken an Ernst Albrecht ist nicht nur museal. Es wäre gut, wenn es jemanden gäbe, der in ähnlicher Menschen-rettender Beherztheit sich der Not und Tragik von – sagen wir tausend oder fünftausend Menschen für sein Bundesland annehmen würde. Wie das gehen soll? Es gibt eine Geschichte, die dazu aus dem Anlaß des Todes von Ernst Albrecht wert ist, noch einmal für unsere Tage bekannt zu werden. Er hatte der Cap Anamur wieder Plätze zugesagt, mehr als er und das Bundesland auf Grund des Verteilerschlüssels geben musste. Er gab das in der Kabinettsrunde bekannt. Daraufhin schrieb sein damaliger Innenminister Möcklinghoff auf einen Zettel: „Ich habe aber keine Plätze. Möcklinghoff“ und reichte den Zettel zu dem Ministerpräsidenten durch. Albrecht sah kurz auf den Zettel und schrieb mit gleicher Klarheit:
„Dann machen Sie welche. Albrecht!“
Das ist immer noch ein Vermächtnis, das auf einen Nachfolger wartet, liebe deutsche Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten!

Hunc meminisse iuvabit. Es wird uns bei den Kämpfen für mehr Plätze für Syrer, Iraker, Jeziden, Eriträer, Christen, Kurden usw. helfen, uns an Ernst Albrecht zu erinnern.


Rupert Neudeck

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