Eingangsstatement in der Radio Horeb-Sendung
„Standpunkt“ zur Menschenrechtssituation in Vietnam
1. Christenverfolgung in Vietnam. Zunächst muss man sagen, dass die
derzeitige Christenverfolgung ein
weltweites Phänomen ist. Vor allem in der islamischen Welt, also dort, wo der
Islam die Religion der Mehrheit ist, also in Nordafrika, auf der Arabischen
Halbinsel, im Nahen und Mittleren Osten, auch in Indonesien und auch in der
Türkei – überall dort haben es Christen schwer. Vietnam ist nun eines der nicht
vom Islam dominierten Länder, in denen Christenverfolgung besonders schlimm
ist. Nicht ganz so schlimm wie in Nordkorea, wo die Verfolgung – nicht nur von
Christen – seit Jahren am schlimmsten ist, aber doch zunehmend und
besorgniserregend. Vor allem, weil es die gesamte Menschenrechtslage im Land
betrifft.
Vietnam ist vor allem eines der Länder, in denen die Christenverfolgung
zunimmt (Platz 18 im Open Doors-Weltverfolgungsindex 2014, nach Platz 21 im
Vorjahr). Die Menschenrechtssituation ist besorgniserregend: Gewissens-,
Glaubens- und Religionsfreiheit, aber auch Meinungs- und Pressefreiheit
existieren de facto nicht. Pikant: Vietnam wurde Ende 2013 in den UN-Menschenrechtsrat aufgenommen,
in ein Gremium also, das die Einhaltung der Menschenrechte weltweit
kontrollieren soll. Unter der prekären Lage leiden besonders die katholischen
Blogger, die dem Regime gleich doppelt verdächtig sind: als Christen und als
Journalisten. Darum soll es nun gehen.
„Vietnam. Drei katholische Blogger in Haft“, „Vietnam.
Neue Verhaftungswelle“, „Erst Kritik, dann Entlassung. Alltag
in Vietnam“, „Vietnam. Wo Religion Privatsache ist“, „Studenten in
Vietnam verurteilt“ – das sind einige der Überschriften, unter denen ich
seit gut einem Jahr in meinem Weblog Jobo72 über die katastrophale Menschenrechtslage in Vietnam berichten muss.
Auf die prekäre Menschenrechtslage in Vietnam wurde ich aufgrund eines Prozesses gegen 14 katholische Blogger
am Anfang des Jahres 2013 aufmerksam. Als katholischer Blogger muss ich auch in
Deutschland einiges an Gegenwind ertragen, doch für meine Beiträge zehn,
fünfzehn Jahre hinter Gittern zu verschwinden, das ist hierzulande undenkbar.
Anders in Vietnam. Dort reichen einige kritische Bemerkungen aus, um inhaftiert
zu werden.
Eine Frage beschäftigte mich: Wie kann ich meinen fernen Kolleginnen und
Kollegen helfen, deren Schicksal mir nahe ging? Einerseits: berichten,
informieren, Partei ergreifen. Das war mir aber nicht genug. So entstand Anfang
2013 eine Petition, in der ich von den Vertretern meines Landes, also
Deutschlands, diplomatische Maßnahmen zur Verbesserung der
Menschenrechtssituation in Vietnam einforderte. Sie wurde über 2500 mal
unterzeichnet. Mittlerweile habe ich die Petition an die Gremien
weitergeleitet, an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages und an die
menschenrechtspolitischen Sprecherinnen bzw. Sprecher der Fraktionen. Sie wurde
dort geprüft und soll – zusammen mit ähnlichen Petitionen – in den Umgang der
Bundesregierung und der deutschen Behörden mit Vietnam eingehen, um die
Menschenrechtssituation in diesem Land zu verbessern.
2. Warum sind Menschenrechte so wichtig?
Menschenrechte bürgen für Freiheit und die Bedeutung der Freiheit kann gar
nicht hoch genug angesetzt werden. Für uns Deutsche, also für die Menschen
meiner Generation, die aus dem Westen kommen, ist Freiheit selbstverständlich.
Dass es nicht selbstverständlich ist, das können uns schon unsere Landsleute
aus dem Osten sagen, die erst nach vielen Jahrzehnten Diktatur in den Genuss
der Freiheit kamen. Und umso mehr sagen es uns die Menschen, die heute immer
noch in Unfreiheit leben, entweder persönlich, wie heute Abend hier, oder aber
durch Horrornachrichten, wie wir sie immer wieder aus den Ländern hören, in
denen es keine Freiheit gibt, aus dem Iran, aus Nordkorea oder eben aus Vietnam.
Noch einmal: Warum ist Freiheit, warum sind entsprechende Freiheitsrechte
wichtig? Sie sind wichtig, weil sie zum einen das Wesen des Menschen berücksichtigen
(wir sind nun mal nicht alle gleich) und zum anderen die Gesellschaft insgesamt
politisch und wirtschaftlich voranbringen, durch Teilhabe der geeigneten
Personen an den Entscheidungen (und nicht der Personen mit dem richtigen
Parteibuch), durch die Chance, sich selbst zu verwirklichen und mit der
Entfaltung der eigenen Talente die ganze Gemeinschaft voranzubringen
(Wissenschaft, aber auch Kunst braucht in dieser Hinsicht Freiheit) und
schließlich auch durch eine gerechte oder zumindest nicht ganz so ungerechte
Verteilung der Güter auf einem freien Markt, wobei sich hier auch die Grenzen
der Freiheit zeigen: die Freiheit des Anderen, vor allem die des Schwächeren.
3. Für den Einzelnen ist vor allem die Gewissens-, Glaubens- und
Religionsfreiheit ein hohes Gut. In Europa hat es lange gedauert, bis man das
eingesehen hat. Auch die Katholische Kirche hat lange gebraucht, um die
Gewissens-, Glaubens- und Religionsfreiheit anzuerkennen, im Grunde ist das
erst im Zweiten Vatikanischen Konzil passiert, vorher nicht. Dabei ist die
Gewissens-, Glaubens- und Religionsfreiheit ein zentrales, herausragendes,
elementares und – bezogen auf die Genese der Menschenrechtsidee –
ursprüngliches Menschenrecht und die Menschenrechte selbst lassen sich ohne das
Christliche Menschenbild
und die besondere Würde des Menschen als ebenbildliches Geschöpf Gottes gar
nicht verstehen. Christliches Gedankengut zeigt sich denn auch überall im
Kontext der liberalen Menschenrechte, in der Entwicklung, dem Wesen und dem
Geltungsanspruch dessen, was als Freiheit von staatlicher Allmacht definiert
wird. Es zeigt sich in Leib- und Lebensrechten, wie etwa im Folterverbot, und es liegt der
Gleichberechtigung, zugrunde, die darauf basiert, dass wir Menschen vor Gott
alle gleich sind, auch, wenn wir unterschiedlich aussehen, unterschiedliche
Fähigkeiten haben und an Unterschiedliches glauben. In diesem Bewusstsein kann
man Niemanden von den Menschenrechten ausschließen. Wer immer das tut, auch,
wenn er dabei meint, die Kirche zu vertreten, handelt unchristlich. Das
bedeutet nicht, dass man als Christ oder dass die Kirche insgesamt nicht eine
klare Vorstellung von Gut und Böse haben sollte, von Wahrheit und Irrtum. Es
bedeutet nicht, dass alles gleich gültig ist, ins Belieben des Menschen
gestellt. Ganz und gar nicht. Es gebietet aber Toleranz, es gebietet, den
Anderen als Person zu achten und dieser menschlichen Person auch dann ein
Minimum an Rechten zuzubilligen, wenn und soweit ihre Vorstellungen derart von
der Position des Staates oder der Kirche oder der Gemeinschaft abweichen, dass
sich aus der Sicht von Staat, Kirche und Gemeinschaft nichts Respektables an
ihr finden lässt. Auch dann soll dieser Mensch frei sein, soll dieser Mensch
seine Meinung sagen dürfen, soll dieser Mensch leben. Die Trennung von Person
und Position, negativ: von Sünder und Sünde, ist ein Grundgedanke der
christlichen Ethik, die sich in der Forderung nach Toleranz wiederfinden lässt.
Die vielen Freiheiten in Politik, Wissenschaft, Medien und Kunst, das macht
nicht zuletzt ein Blick in die Entwicklungsgeschichte der Menschenrechtsidee
deutlich, gründen auf der einen elementaren Freiheit, der Gewissens-, Glaubens-
und Religionsfreiheit. Dies lässt sich historisch zurückverfolgen bis zum
Exodus des jüdischen Volkes, in der sich die erste kollektive Freiheitsbewegung
der Geschichte manifestiert, deren Motiv auch in der religiösen Integrität der
Israeliten liegt. Dann zeigt es sich in der Reformation, als Luther sein
Gewissen bemüht und für sein Bekenntnis schließlich Anerkennung erwirkt. Bis
zur echten Gewissens-, Glaubens- und Religionsfreiheit sollte es zwar noch
einige Jahrhunderte dauern, aber immerhin wurde Mitte des 16. Jahrhunderts in
Augsburg der Grundstein gelegt. Die Reformation ist die Urform des
neuzeitlichen Widerstands gegen missbrauchte Macht. Man nennt die Menschen, die
Luther folgen, bis heute auch Protestanten, also „Widerständische“. In diesem
Sinne bin auch ich Protestant! Der Staatsrechtler Jellinek sieht in der
Gewissens-, Glaubens- und Religionsfreiheit „das Ursprungsrecht der
verfassungsmäßig gewährten Grundrechte“. Und der in Religionsfragen eher
unverdächtige Marxist Ernst Bloch meint: „Die Bedeutung der Glaubensfreiheit
kann daran gemessen werden, dass in ihr der erste Keim zur Erklärung der
übrigen Menschenrechte enthalten ist“. Kurzum: Ringen um Freiheit war und ist
zunächst das Ringen um Gewissens-, Glaubens- und Religionsfreiheit. Auch in
Vietnam.
4. Für die Gemeinschaft ist vor allem die Meinungs- und Pressefreiheit
wichtig. Sie ermöglicht die Kritik der Zustände und damit die Bereitstellung
von Lösungsansätzen zu ihrer Verbesserung. Deswegen laufen in Diktaturen
bestimmte Dinge so katastrophal schief: Weil sich keiner traut, etwas dagegen
zu sagen. Um das zu wissen, muss man noch nicht mal Demokrat sein. Auch ein
guter König verlangt von seinen Beratern Ehrlichkeit. Denn irgendwann wird das
Schweigen und Heucheln von der Realität bestraft.
5. Bei den katholischen Bloggern, von denen ich eingangs sprach, kommt nun
beides zusammen: Ein Mangel an Gewissens-, Glaubens- und Religionsfreiheit
sowie ein Mangel an Meinungs- und Pressefreiheit. Das ist doppelt schlimm: Sie
können nicht katholisch sein und sie können keine Blogger sein. Um ihnen beides
zu ermöglichen, dafür habe ich gekämpft und tue das auch weiterhin. Ich möchte
mal an einigen Beispielen aufzeigen, wie in Vietnam diese elementaren
Menschenrechte mit Füßen getreten werden.
Wenn überhaupt, dann erfahren wir von Inhaftierungen in Vietnam nur, wenn
es sich dabei um mehr oder weniger prominente Opfer handelt, wie im Fall des
katholischen Paters Nguyen Van-Ly (Haftstrafe) oder des buddhistischen Mönches
Thich Quang Do (Hausarrest). Die staatlichen Repressionen gegen ganz normale
Priester und Ordensleute werden hingegen in der Presse nicht erwähnt. An diese
alltägliche Verfolgung hat die Menschenrechtsorganisation International
Christian Concern erinnert. Danach werden in Vietnam derzeit mehr als sechzig
Priester und andere religiöse Würdenträger „unter schwierigen Bedingungen“ in
Haft gehalten, auf vier Lager im Land verteilt. Ein aus Vietnam stammender
Theologe, der in Rom ein Priesterkolleg leitet, bezeichnete Radio Vatikan
zufolge den International Christian Concern-Bericht gegenüber Fides als
„vollkommen glaubwürdig“. Es gebe weiterhin „klare Einschränkungen der
Meinungs- und Gewissensfreiheit“ in Vietnam.
Eine Schlüsselrolle spielt dabei eine Anfang 2013 in Kraft getretene
Verordnung zur Umsetzung des Religionsgesetzes, die nach Einschätzung von Open
Doors, eine Einrichtung, die sich um verfolgte Christen kümmert und den
eingangs schon erwähnten Weltverfolgungsindex herausgibt, die Kontrolle der
Kirche zunehmend verschärft. Zwar wird in Vietnam die Religionsfreiheit auf dem
Papier gewährleistet, doch unter sehr strengen Bedingungen, die dieses
Ur-Menschenrecht substantiell aushöhlen. Die „Verordnung zur Religion (92/2012
ND CP)“, kurz ND 92, zeigt, dass es den Behörden in Vietnam im Grunde darum
geht, jede gemeinschaftliche Religionsausübung unmöglich zu machen.
Entscheidend ist dabei der in der neuen Norm erwähnte Tatbestand des
„Freiheitsmissbrauchs“, der bereits vorliegt, wenn in Religionsgemeinschaften
eine vom Verständnis der vietnamesischen Behörden abweichende Spiritualität
gelehrt wird, wenn etwa, wie im Christentum, die Anbetung des Dreieinigen
Gottes an die Stelle der Ahnen- und Heldenverehrung tritt. Dann, so die Sicht
der Behörden, werde nicht nur die „Pflege der guten Gebräuche“ vernachlässigt,
sondern dann sei auch die „nationale Einheit“ in Gefahr. Mit diesem Pfund
schlagen die Behörden regelmäßig Alarm. Es kommt vermehrt zu Festnahmen und
Inhaftierungen.
Die Auflagen für die Kirche sind absurd: Die Gemeinden müssen im Oktober
eine vollständige Liste aller für das kommende Jahr geplanten Aktivitäten
vorlegen – nachträgliche Änderungen sind nicht erlaubt. Das gilt auch für
Taufen und Hochzeiten. Sogar Beerdigungen müssen ein Jahr im Voraus terminiert
werden. Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man wohl lachen. Traurig ist es
allerdings, denn auf der Basis dieser Verordnung herrscht Behördenwillkür und
die Repressionen gegen die Kirche nehmen tagtäglich zu.
Wenn nun Priester und katholische Blogger einmal in Haft sind, hört die
Repression aber nicht auf. Ähnlich wie in Nordkorea sind Christen nicht nur
„Staatsfeinde Nummer 1“, sondern auch „Häftlinge der untersten Kategorie“. Die
Schikanen gegen sie und ihre Angehörigen gehen weiter. Es reicht den Behörden
in Vietnam offenbar nicht, Menschen, die eine abweichende Meinung haben und
diese auch äußern, ins Gefängnis zu werfen. Sie versuchen auch jeden Kontakt zu
den Angehörigen zu unterbinden.
Nguyen Tri Dung, der Sohn des inhaftierten Bloggers Nguyen Van Hai, bekam
dies bei seinem letzten Besuch am 2. Januar 2013, wenige Tage nach der
Verurteilung seines Vaters, zu spüren: „Sie haben sich gleich eingemischt und
unser Gespräch beendet, als mein Vater mir sagte, ich solle, wenn ich daheim
bin, Bücher über die Demokratie und die Menschenrechtskonvention lesen. Dies
hat nichts mit dem Urteil gegen meinen Vater zu tun. Bei diesem Besuch konnte
ich meinen Vater nur 15 Minuten sehen, sie haben aber 10 Minuten lang unser Gespräch
durch lautes Schreien gestört. Sie sagten mir: ,Sie verstoßen gegen die Regeln
des Gefängnisses. Sie dürfen nur nach dem Befinden fragen und nicht über die
Gerichtsverhandlung oder über andere Dinge sprechen.’ Mein Vater und ich sind
sehr empört.“ Und nicht nur er und sein Vater, sondern auch ich und viele
andere Menschen, Vietnamesen und Deutsche, die von hier aus versuchen, die
katastrophale Menschenrechtslage in Vietnam öffentlich zu machen.
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