12.09.2014
«Schnelleres Wachstum setzt weitere Liberalisierung voraus»
Ernst
Herb, Hanoi
«Die staatlichen Betriebe sind
ineffizient.» (Bild: ZVG)
Le Dang Doanh Ein Architekt der ökonomischen Öffnung
über die Stärken und Schwächen des Wirtschaftswunderlands Vietnam.
Vietnam
verdankt einer sinkenden Inflationsrate, steigenden Exporten und anschwellenden
Kapitalzuflüssen aus dem Ausland das dritte Jahr makroökonomischer Stabilität.
Das steht in Kontrast zu den Jahren nach 2008, als die südostasiatische
Volkswirtschaft in Folge eines exzessiven Kreditwachstums und einer
Teuerungsrate von zeitweise fast 30% nahe an den Rand des Abgrunds rückte. Die
Asiatische Entwicklungsbank prognostiziert für das laufende Jahr eine Expansion
des Bruttoinlandproduktes von 5,4%.
Damit
entwickelt sich die Wirtschaft nach Meinung des renommierten Ökonomen Le Dang
Doanh dennoch deutlich unter ihrem Potenzial. «Eine nachhaltig beschleunigte
Dynamik setzt allerdings eine weitere Liberalisierung der Wirtschaft voraus»,
sagt Le, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Volkswirtschaft
der Universität Hanoi arbeitet.
Privilegierte
Staatsbetriebe
Le, der Anfang der
Neunzigerjahre als Berater des damaligen Premierministers massgeblich an der
wirtschaftlichen Öffnung seiner Heimat mitarbeitete, blickt kritisch auf die
spektakulären Boom- und Bust-Zyklen der Vergangenheit.
Die Exzesse
seien das Resultat des privilegierten Zugangs von Staatsunternehmen zu billigen
Krediten gewesen. Das ging auf Kosten des Privatsektors, liess die faulen
Kredite im Bankensystem gefährlich ansteigen und trieb die Inflation an. 2007
und 2008 etwa stiegen die neu erteilten Kredite jeweils über 50%.
Das Problem
hat sich nach Les Meinung zwar mittlerweile entschärft. Doch bestehe die
Strukturschwäche weiter, was sich unter anderem am Mangel an Transparenz im
Bankensektor und auf dem Immobilienmarkt zeige. Das bleibe so lange eine
Wachstumsbremse, wie der Staat als Investor im Industrie- und
Dienstleistungssektor eine dominante Rolle spiele.
«Die
staatlichen Betriebe sind ineffizient. Gleichzeitig bleiben die lokalen
privaten Unternehmen klein, weil sie keinen Zugang zu Krediten erhalten», sagt
Le, der Mitglied der Kommission für die Reform staatlicher Unternehmen ist.
Seit 2010 sind 230 000 Privatunternehmen liquidiert worden, das entspricht rund 30% des Sektors.
«Das ist ein grosser Schlag gegen die Liberalisierung», klagt Le.
Schwieriger
Reformprozess
Die Frage
drängt sich auf, warum die Regierung den Reformprozess nicht entschiedener
vorantreibt. Le sieht es als ermutigend an, dass der Premierminister in seiner
Neujahrsansprache die staatlichen Monopole anprangerte und mehr Wettbewerb
verlangte. Doch solche Forderungen stiessen auf grosse Widerstände der
Staatsunternehmen, erklärt Le. Zudem erschwere die grosse Autonomie der Provinzen die Umsetzung der Reformen.
Le sieht in der tiefen
Produktivität Vietnams eines der Hauptprobleme. Es stellt sich die Frage, ob das
Land wegen seiner tiefen Löhne für ausländische Investoren ein gerade im
Vergleich zu China zunehmend attraktiver Produktionsstandort geworden ist. Le
räumt ein, dass das Wachstum gegenwärtig vor allem vom expandierenden
Arbeitsmarkt im Exportsektor getragen wird. Dies bringe dem Land auch dringend
benötigte Devisen. «Doch ist der in Vietnam verbleibende Mehrwert gering. Das
Land kann allein auf diesem Weg keine höhere Entwicklungsstufe erreichen»,
kritisiert Le.
Er
illustriert das am Beispiel des südkoreanischen Konzerns Samsung (SMSD 366.8 -0.33%), dem wichtigsten
ausländischen Direktinvestor in Vietnam. Samsung habe im Vorjahr zwar
Smartphones im Wert von 23,6 Mrd. $ aus Vietnam exportiert, doch habe das
Unternehmen gleichzeitig meist hochwertige integrierte Komponenten im Wert von
21 Mrd. $ aus seinen chinesischen Werken eingeführt. «Das zeigt, dass die
Endmontage und Verpackung Vietnam sehr wenig bringt», führt Le aus.
Trotz der
punktuellen Kritik bleibt Le, was
die Zukunft Vietnams betrifft, optimistisch,
so etwa mit Blick auf die günstigen
demographischen Verhältnisse oder die
zentrale
geographische Lage. Besondere Hoffnung setzt
er in die im Rahmen der
Trans Pacific
Partnership angestrebte engere regionale
wirtschaftliche
Integration.
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