Sonntag, 14. September 2014

«Schnelleres Wachstum setzt weitere Liberalisierung voraus»



12.09.2014

«Schnelleres Wachstum setzt weitere Liberalisierung voraus»
Ernst Herb, Hanoi
«Die staatlichen Betriebe sind ineffizient.» (Bild: ZVG)
Le Dang Doanh Ein Architekt der ökonomischen Öffnung über die Stärken und Schwächen des Wirtschaftswunderlands Vietnam.
Vietnam verdankt einer sinkenden Inflationsrate, steigenden Exporten und anschwellenden Kapitalzuflüssen aus dem Ausland das dritte Jahr makroökonomischer Stabilität. Das steht in Kontrast zu den Jahren nach 2008, als die südostasiatische Volkswirtschaft in Folge eines exzessiven Kreditwachstums und einer Teuerungsrate von zeitweise fast 30% nahe an den Rand des Abgrunds rückte. Die Asiatische Entwicklungsbank prognostiziert für das laufende Jahr eine Expansion des Bruttoinlandproduktes von 5,4%.
Damit entwickelt sich die Wirtschaft nach Meinung des renommierten Ökonomen Le Dang Doanh dennoch deutlich unter ihrem Potenzial. «Eine nachhaltig beschleunigte Dynamik setzt allerdings eine weitere Liberalisierung der Wirtschaft voraus», sagt Le, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Volkswirtschaft der Universität Hanoi arbeitet.
Privilegierte Staatsbetriebe

Le, der Anfang der Neunzigerjahre als Berater des damaligen Premierministers massgeblich an der wirtschaftlichen Öffnung seiner Heimat mitarbeitete, blickt kritisch auf die spektakulären Boom- und Bust-Zyklen der Vergangenheit.

Die Exzesse seien das Resultat des privilegierten Zugangs von Staatsunternehmen zu billigen Krediten gewesen. Das ging auf Kosten des Privatsektors, liess die faulen Kredite im Bankensystem gefährlich ansteigen und trieb die Inflation an. 2007 und 2008 etwa stiegen die neu erteilten Kredite jeweils über 50%.
Das Problem hat sich nach Les Meinung zwar mittlerweile entschärft. Doch bestehe die Strukturschwäche weiter, was sich unter anderem am Mangel an Transparenz im Bankensektor und auf dem Immobilienmarkt zeige. Das bleibe so lange eine Wachstumsbremse, wie der Staat als Investor im Industrie- und Dienstleistungssektor eine dominante Rolle spiele.
«Die staatlichen Betriebe sind ineffizient. Gleichzeitig bleiben die lokalen privaten Unternehmen klein, weil sie keinen Zugang zu Krediten erhalten», sagt Le, der Mitglied der Kommission für die Reform staatlicher Unternehmen ist. Seit 2010 sind 230000 Privatunternehmen liquidiert worden, das entspricht rund 30% des Sektors. «Das ist ein grosser Schlag gegen die Liberalisierung», klagt Le.
Schwieriger Reformprozess
Die Frage drängt sich auf, warum die Regierung den Reformprozess nicht entschiedener vorantreibt. Le sieht es als ermutigend an, dass der Premierminister in seiner Neujahrsansprache die staatlichen Monopole anprangerte und mehr Wettbewerb verlangte. Doch solche Forderungen stiessen auf grosse Widerstände der Staatsunternehmen, erklärt Le. Zudem erschwere die grosse Autonomie der Provinzen die Umsetzung der Reformen.


Le sieht in der tiefen Produktivität Vietnams eines der Hauptprobleme. Es stellt sich die Frage, ob das Land wegen seiner tiefen Löhne für ausländische Investoren ein gerade im Vergleich zu China zunehmend attraktiver Produktionsstandort geworden ist. Le räumt ein, dass das Wachstum gegenwärtig vor allem vom expandierenden Arbeitsmarkt im Exportsektor getragen wird. Dies bringe dem Land auch dringend benötigte Devisen. «Doch ist der in Vietnam verbleibende Mehrwert gering. Das Land kann allein auf diesem Weg keine höhere Entwicklungsstufe erreichen», kritisiert Le.

Er illustriert das am Beispiel des südkoreanischen Konzerns Samsung (SMSD 366.8 -0.33%), dem wichtigsten ausländischen Direktinvestor in Vietnam. Samsung habe im Vorjahr zwar Smartphones im Wert von 23,6 Mrd. $ aus Vietnam exportiert, doch habe das Unternehmen gleichzeitig meist hochwertige integrierte Komponenten im Wert von 21 Mrd. $ aus seinen chinesischen Werken eingeführt. «Das zeigt, dass die Endmontage und Verpackung Vietnam sehr wenig bringt», führt Le aus.
Trotz der punktuellen Kritik bleibt Le, was
die Zukunft Vietnams betrifft, optimistisch, 
so etwa mit Blick auf die günstigen 
demographischen Verhältnisse oder die zentrale 
geographische Lage. Besondere Hoffnung setzt 
er in die im Rahmen der Trans Pacific 
Partnership angestrebte engere regionale 
wirtschaftliche Integration.






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