Die Autorinnen sind Führungskräfte der Konrad-Adenauer-Stiftung in Vietnam. Frau Brauer ist die Leiterin der KAS in Hanoi. Frau Schulze ist Projektmanagerin.
Die Autorinnen klären schonungslos auf, was in Vietnam geschieht.
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Vietnams Premierminister
entkommt nur knapp einer Amtsenthebung
18.10.2012 Rabea Brauer, Sarah Schulze
Das sechste Plenum des
Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Vietnams (KPV) (XI.
Legislaturperiode) beriet vom 01. bis zum 15. Oktober auch über das politische
Schicksal von Premierminister Nguyen Tan Dung.
Premierminister Dung wird
verantwortlich gemacht für die wirtschaftliche Schieflage und für die
Vetternwirtschaft im Bereich der Staatsbetriebe und des Finanzwesens. In der
offiziellen Abschlusszeremonie des Plenums gestand die KPV Fehler in der
bisherigen Vermeidung und Bekämpfung von Korruption u.a. im Beamtentum ein.
Die KPV sieht von direkten Disziplinarmaßnahmen
gegen den Premierminister ab, welcher somit, wenn auch stark geschwächt,im Amt
bleibt.
Fatale wirtschaftliche
Entwicklung
Vietnam galt bisher als einer der größten
wirtschaftlichen Hoffnungsträger Südostasiens. Auf dem sechsten Parteitag der
KPV im Jahr 1986 läutete die politische Führung den sogenannten
wirtschaftlichen Erneuerungs- bzw. Doi Moi-Prozess ein. Dieser Reformprozess
war und ist ausschlaggebend für die wirtschaftliche Liberalisierung des Landes,
den daraus resultierenden weitreichenden Errungenschaften in unterschiedlichen
Bereichen der Sozialpolitik. Doi Moi ebnete den Weg für Vietnams Entwicklung
von einer Planwirtschaft zu einer sozialistisch-orientierten Marktwirtschaft.
Allerdings befindet sich die vietnamesische Volkswirtschaft seit Ende 2010 in
einer anhaltenden Schieflage. Sorge bereitet vor allem die beständig hohe
Inflationsrate. Zu weiteren makroökonomischen Ungleichgewichten zählen die
geschwächte Währung, das steigende Haushaltsdefizit, das chronische
Handelsbilanzdefizit und strukturelle Defizite im Finanz- und Bankenwesen -
insbesondere im Bereich der Staatsbetriebe. Trotz der sozioökonomischen Erfolge
seit 1986, sind die wirtschaftlichen Herausforderungen, denen Vietnam
gegenwärtig gegenübersteht, zahlreich.
Die angespannte
wirtschaftliche Lage wird zur politischen Realität
Die vietnamesische Regierung muss seit Beginn
dieses Jahres zunehmend Rechenschaft über ihre wirtschaftlichen
Sanierungsmaßnahmen vor der KPV ablegen. Premierminister Dung steht Berichten
zufolge besonders für das Missmanagement der Staatsbetriebe im Fokus der
innerparteilichen Kritik. In der sozioökonomischen Entwicklungsstrategie
2011-2020 wird dem staatlichen Wirtschaftssektor eine entscheidende Rolle bei
der Gewährleistung der makroökonomischen Stabilität zugeschrieben.
Premierminister Dung gilt als starker Befürworter der staatlichen Unternehmen.
Im Laufe der Doi Moi Reformen wurde die Anzahl der staatseigenen Betriebe durch
Teilprivatisierungen reduziert. Der private Wirtschaftssektor wurde erstmals
mit der Verfassung von 1992 anerkannt. Jedoch genießen Staatsbetriebe trotz
mangelnder Wettbewerbsfähigkeit, trotz ineffizienter und korrupter
Verwaltungsstrukturen noch immer erhebliche staatliche finanzielle
Unterstützung sowie privilegierte Kreditzugänge.
Das vietnamesische Bankensystem ist einem
rasant steigenden Volumen an „faulen Krediten“ (Non Performing Loans, NPL)
ausgesetzt. Ende August 2012 lag das NPL Volumen im Verhältnis zum
Gesamtvolumen der ausstehenden Kredite aller Kreditinstitute bei 8,6 Prozent.
Im November 2011 lag das NPL Volumen bei lediglich 3,3 Prozent .
Der August 2012 geriet auch aus anderen Gründen
zum Monat der Offenbarungen. Nguyen Duc Kien, Mitgründer der teilprivatisierten
Geschäftsbank Asia Commercial Bank (ACB) und Aktieninhaber mehrerer kleinerer
Geschäftsbanken, wurde wegen des Verdachts illegaler Geschäftspraktiken am 20.
August 2012 verhaftet. Drei Tage später (23.08.2012) wurde der Geschäftsführer
der ACB unter gleichen Vorwürfen in Gewahrsam genommen. Nach offiziellen
Angaben des Ministeriums für öffentliche Sicherheit wird seit dem 18. September
2012 gegen Kien zusätzlich wegen Verdachts auf Betrug und vorsätzlicher
Pflichtverletzung ermittelt.
Vietnam am politischen
Scheideweg
Für die KPV stellt die fortdauernde
wirtschaftliche Krise ein wachsendes Legitimationsproblem dar. Erste Risse im
traditionellen Machtgefüge machen sich bemerkbar.
Im Kräfteverhältnis zwischen Generalsekretär
der KPV, Staatspräsident und Premierminister verschieben sich die politischen
Kompetenzen deutlich. So hat die KPV die Korruptionsbekämpfung als Folge der
Skandale um die Banken- und Staatsbetriebe an sich gezogen – Kompetenzen, die
ehemals im Portfolio des Premierministers angesiedelt waren. Während des
fünften Plenums des Zentralkomitees der KPV (XI. Legislaturperiode) im Mai 2012
wurde die Gründung einer direkt dem Politbüro der KPV unterstehenden Kommission
zur Korruptionsbekämpfung beschlossen.
Nach zunehmenden Einschränkungen im Vorfeld des
elften Parteitags stehen die Medien nun wieder erneut unter der verschärften
Beobachtung der Partei. Alle Medien unterliegen ohnehin einer strikten staatlichen
Kontrolle, private Medien gibt es nicht in Vietnam. Zwar ist die
Meinungsfreiheit verfassungsrechtlich verankert, zugleich ist sie
Straftatbestand, wenn Äußerungen die politische Agenda betreffen. Davon direkt
betroffen sind aktuell drei anonyme regierungs- und parteikritische Blogs
(Quanlambao, Danlambao und Bien Dong). Die Blogs konzentrieren sich auf
Premierminister Dung, auf die wirtschaftlichen Probleme und auf die aktuelle
vietnamesische Außenpolitik. In einer am 12. September 2012 veröffentlichten
Pressemitteilung bezeichnete Premierminister Dung jene drei Blogs als Angriff
auf die politische Führung und forderte konsequente strafrechtliche Verfolgung
der Blogbetreiber. Trotz dieser Erklärung, von der man nicht genau weiß, ob sie
einen Alleingang Dungs darstellte, sind die Blogs nach wie vor öffentlich
zugänglich und erfreuen sich hoher Besucherzahlen. Die täglich wachsende und
über technische Umwege relativ freie Internutzung stellt für das politische
System Vietnams gerade mit Blick auf die jüngsten Entwicklungen im Na-hen und
Mittleren Osten eine enorme Herausforderung dar.
Dementsprechend konsequent griffen Partei und
Regierung dagegen im jüngsten Fall durch: Das Volksgericht in Ho Chi Minh Stadt
verurteilte die Blogger Nguyen Van Hai, Ta Phong Tan und Phan Thanh Hai wegen
vermeintlich regierungsfeindlicher Propaganda Ende September 2012 zu jeweils
vier bis zwölf Jahren Haft.
Allein diese Urteile unterstreichen die starke
staatliche Zensur, der die Medien in Vietnam ausgesetzt sind. Auch in diesem
Jahr gehört Vietnam zu jenen Staaten in Asien, die ihre Medien am
restriktivsten regulieren, so die Angaben von Amnesty International, Freedom
House Index and Reporters Without Borders.
Der politische Showdown: Das
sechste Plenum des Zentralkomitees der KPV (XI. Legislaturperiode)
Das sechste Plenum zeichnete sich durch seine
ungewöhnlich lange Tagungsdauer aus (fünfzehn Tage). In der Regel sind für die
jeweiligen Plenarsitzungen des Zentralkomitees der KPV nur vier Tage angesetzt.
Das Hauptanliegen des Plenums war ein Bericht
des Politbüros der KPV zu Kritik und Selbstkritik der Partei und ihrer
Mitglieder, darunter an und vom Premierminister Dung. Zwar behandelte das
Plenum auch die Fortschritte der Reform der Staatsbetriebe und sichtete die
sozioökonomische Entwicklung Vietnams, aber Ziel des Plenums war die Analyse
des Krisenmanagements von Premierminister Dung. Um Schaden von der Partei
abzuhalten, wird hauptsächlich der Premier für Misswirtschaft und fehlende
Strategien verantwortlich gemacht. Er stand dem Plenum Rede und Antwort zu
familiären Verbindungen in die Wirtschaft, korruptionsbegünstigenden
Entscheidungen und persönlichen Verstrickungen.
Eine erste politische Bilanz
In der Abschlusszeremonie des Plenums am 15.
Oktober unterstrich der Generalsekretär der KPV, Nguyen Phu Trong, die
Notwendigkeit (1) einer effizienteren Umstrukturierung der Staatsbetriebe, (2)
einer überzeugenderen Reform des Bank- und Finanzwesens, (3) von mehr
Rechtssicherheit in Landnutzungsfragen, (4) einer weitreichenden Reform des
Bildungssystems und hob (5) die Errungenschaften des Plenums bezüglich
wichtiger Personalentscheidungen innerhalb der Partei und der Regierung hervor
.
Ein weiteres Ergebnis des Plenums ist die
Wiedereinführung des Wirtschaftsausschusses des Zentralkomitees der KPV. Dies
stellt eine zusätzliche Kompetenzverlagerung von direkter Regierungsebene in
Richtung Partei dar. Die Teilprivatisierung von Staatsbetrieben gemäß dem
Unternehmensgesetz von 2005 zu Aktiengesellschaften genieße innerhalb des
wirtschaftlichen Reformprozesses, so Nguyen Phu Trong, einen hohen Stellenwert.
Staatsbetriebe und teilprivatisierte wirtschaftliche Einheiten sollen demnach
strengeren, regelmäßigeren und transparenteren Revisionen unterliegen.
Unabdingbar für die makroökonomische Stabilität sei zudem die Verringerung
korrupter Strukturen und der anhaltenden Misswirtschaft im Bankenwesen sowie im
bisherigen Landnutzungssystem. Im Rahmen der Bildungsreform würde der Staat
insbesondere führende und angehende Wis-senschaftler fördern.
Deutlicher Verlierer des Plenums ist
Premierminister Dung. In der offiziellen Rede zur Abschlusszeremonie wurde
indirekt auf die dem Premierminister vorgeworfenen Fehlentscheidungen
eingegangen. „Eine gewisse Anzahl an führenden Beamten hätten (...) durch ihr
Handeln dem Ansehen der Partei, des Staats und ihrer eigenen Person geschadet
(...). Grundsätzlich hätte das gesamte Politbüro der KPV die Nominierung eines
Mitglieds des Politbüros für ein Disziplinarverfahren befürwortet, allerdings
hätte man sich nach etlichen Überlegungen gegen die Durchführung eines solchen
Verfahrens gegen das Politbüro und eines seiner Mitglieder entschieden“
(Generalsekretär der KPV, Nguyen Phu Trong, 15. Oktober 2012, Sechstes Plenum
des Zentralkomitees der KPV, XI. Legislaturperiode der KPV, Hanoi). Mit dieser
Äußerung spielt der Generalsekretär direkt auf das Schicksal von
Premierminister Dung an: ein Novum für die KPV, die sich traditionsgemäß davor
scheut, interne Debatten öffentlich auszutragen.
Das sechste Plenum wird keine große
wirtschaftliche und politische Neuausrichtung des Landes mit sich bringen. Die
über die letzten Jahre hinweg zunehmend eigenständiger agierende Regierung wird
sich wieder verstärkt der Kontrolle der KPV beugen müssen. Es ist anzunehmen,
dass politische Entscheidungsträger nun häufiger öffentlich von der KPV für
Fehlentscheidungen zur Rechenschaft gezogen werden. Jedoch bleibt abzuwarten,
inwiefern die jüngsten Entwicklungen Schritte in Richtung transparenter und
eventuell auch demokratischer Entscheidungsstrukturen der KPV darstellen oder
letztendlich doch eher einer Legitimationsstärkung der KPV zur Lasten der
allgemeinen politischen Gewaltenteilung in Vietnam dienen.