Dienstag, 16. Juni 2015

Vietnam und Vietnamesen (aus dem Blog von Dr. Bordat)

Vietnam und Vietnamesen

15. Juni 2015


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Ob als Boatpeople in der Bundesrepublik oder als Vertragsarbeiter in der DDR: Die Integration der Vietnamesen in die deutsche Gesellschaft gilt als gelungen. Und das, obwohl die kulturellen Unterschiede zwischen Südostasien und Mitteleuropa größer kaum sein könnten, viel größer jedenfalls als bei anderen Migrantengruppen, etwa den “Gastarbeitern” und ihren Nachfahren aus der Türkei.
Als Schlüssel zur gelungenen Integration gilt die Affinität der Vietnamesen zur Bildung. Vietnamesen legen – so zeigen es zahlreiche Untersuchungen – offenbar besonders viel Wert auf den Schulerfolg und die akademische Karriere. Sie scheinen wissbegieriger, lernbereiter, fleißiger und dadurch leistungsfähiger zu sein als Angehörige anderer Kommunitäten mit vergleichbarem Hintergrund, also mit der geteilten Erfahrung von Vertreibung, Flucht und der Suche nach Glück im Paradies namens Deutschland.
Schaut man sich den Anteil der Gymnasiasten an unterschiedlichen soziokulturell definierten Gruppen der deutschen Gegenwartsgesellschaft an, so fällt auf, dass dieser unter den Vietnamesen mit 58 Prozent extrem hoch liegt, viel höher als bei den Einwohnern mit türkischer Abstammung (18 Prozent), sogar deutlich höher als in der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund (36 Prozent). Das ergab eine Studie, die jüngst in der Wochenzeitschrift Die Zeit veröffentlicht wurde.

Das deckt sich mit meinen Erfahrungen in der vietnamesischen Kommunität. Ich kenne eigentlich nur hoch gebildete Menschen, Akademiker und solche, die es werden wollen bzw. solche, die sich wünschen, dass ihre Kinder es einst werden. Um nicht falsch verstanden zu werden: Aufstiegsorientierung im Bereich Bildung macht keine besseren Menschen. Aber doch Menschen, die besser integriert sind, die zu Entscheidungsträgern werden, die mitreden wollen, die gestalten können.

Umso tragischer, dass dieses Potential in der Heimat nicht zur Entfaltung kommen kann, weil ein sozialistisches Regime die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Bildungsarbeit torpediert. Statt Freiheit gibt es strenge Auflagen. Gerade da, wo sich der Intellekt entfalten könnte, in politischer Meinungsbildung, im publizistischen Wirken, im Handeln für die Menschenrechte, zieht der vietnamesische Staat eine Grenze.

Besonders junge Menschen leiden darunter. Sie können die Möglichkeiten, die eine technologisch entwickelte Kommunikations- und Medienwelt bietet, nicht ungestraft nutzen. Schreiben sie in ihren Blogs und in Sozialen Netzwerken ihre Meinung und weicht diese von dem ab, was die Regierung gerne über sich hören würde, gibt es langjährige Haftstrafen – nach kurzem Prozess. Ich hatte über einen dieser Prozesse gegen katholische Blogger – also: Kolleginnen und Kollegen – berichtet.

Nun ist eine der verurteilten Bloggerinnen, Maria Ta Phong-Tan, in den Hungerstreik getreten, aus Protest gegen die unmenschlichen Haftbedingungen, unter denen die politischen Gefangenen zu leiden haben. Maria Ta Phong-Tan ist eine Juristin, die als treue Dinerin des kommunistischen Staates arbeitete, bevor sie zum Katholizismus konvertierte und über das Regime, welches sie aus erster Hand kennt, engagiert und kritisch zu bloggen begann. 2011 wurde sie verhaftet, Ende 2012 zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Bereits vor ihrer Verhaftung wurde ihre Bewegungsfreiheit erheblich eingeschränkt. Im Juni und Juli 2011 wurde sie mehrmals vorübergehend festgenommen oder gewaltsam in ihre Wohnung zurück gedrängt, sobald sie in die Kirche gehen wollte.

Das Regime weiß: Der Glaube gibt ihr Kraft, die Kraft, nach Wahrheit und Gerechtigkeit zu suchen (so hieß ihr mittlerweile gesperrtes Blog, im Original: Công Lý Và Sự Thật). Nach der Verhaftung sagte Maria Ta Phong-Tan: “I have never panicked when faced with dishonesty and deceitfulness. I always see God smiling, calling me to walk by him. Let us give thanks to God, to the Mother of God, and to the Church which has given us faith and life”.

Maria Ta Phong-Tan wurde für ihre Arbeit mehrfach ausgezeichnet, unter anderem 2013 mit dem International Women of Courage Award, “for her dedication to continually demanding a better government for her people, for her willingness to take risks for her beliefs, and for her life experience and skills as a writer that serve as an inspiration to women in Vietnam”. Schließen wir Maria Ta Phong-Tan und ihre Angehörigen und Freunde, die sich sehr um ihre Gesundheit sorgen und bislang vergeblich versuchten, die mutige Frau zur Beendigung ihres Hungestreiks zu bewegen, in unsere Gedanken und Gebete ein.

(Josef Bordat)

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